„Sie behandelten uns wie Tiere“
Das handgeschnitzte Kinderspielzeug wirkt auf den ersten Blick putzig und liebevoll gestaltet: Vier Hühner die mittels Pendel Pickbewegungen und -geräusche machen. Es wurde jedoch von Insassen des Konzentrationslagers in Schömberg gefertigt, in Verzweiflung, als Tauschobjekt für einen Apfel oder wenige Kartoffeln. Es ist Zeugnis des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte.
Im Gebiet des heutigen Zollernalbkreises existierten unter dem Decknamen "Wüste" ab 1944 sieben Konzentrationslager. Im Rahmen des Unternehmens Wüste sollte der entlang des Albtraufs aufzufindende Ölschiefer abgebaut werden, um daraus Treibstoff für die Wehrmacht zu gewinnen. Errichtet wurden die Werksbauten unter Betreuung der Organisation Todt. Der Betrieb der Konzentrationslager wurde der SS übertragen. Zwei dieser Lager befanden sich in Schömberg. Das erste Lager war das sogenannte Bahnhofs-KZ, im Unterschied zu dem später auf Schömberger Markung errichtete KZ Dautmergen. Von ihren Baracken am Pegauer Weg marschierten die Gefangenen täglich unter den Augen der hiesigen Bevölkerung zu ihrem Einsatzort. Waren die meisten den hungernden Häftlingen gegenüber gleichgültig und abweisend eingestellt, gab es doch wenige Personen, die bereit waren, Hilfe zu leisten, Brot und Kartoffeln zur Verfügung zu stellen.
Als die Gefangenen vom Pegauer Weg aus zur Zwangsarbeit an der Schweizer Straße geführt wurden, hat eine mutige Schömbergerin dieses Spielzeug als Tauschobjekt gegen Nahrungsmittel erhalten.
In "Bahnhof-KZ" Schömberg wurden zwischen Dezember 1943 und April 1945 circa 800 Gefangene zur Zwangsarbeit eingesetzt – in allen sieben Wüste-Lagern zusammen circa 12.000 Menschen. Die Situation in den Lagern war katastrophal. Krankheiten breiteten sich aus. An Tuberkulose erkrankte sollen nach Aussagen von Häftlingen mit Formaldehyd-Spritzen getötet worden sein. Viele weitere starben bei den Arbeitseinsätzen. Die Leichen wurden in Massengräbern im Schönhager Loch verscharrt. Während der französischen Besatzung wurden diese exhumiert und auf den KZ-Friedhof zwischen Dautmergen und Schömberg umgebettet.
Die historische Aufarbeitung dieser Verbrechen auf lokaler und regionaler Ebene ging nur sehr langsam vonstatten. So weiß die Kreischronik von 1961 mehr über die Steinzeit vor 20.000 Jahren zu berichten, als über die Konzentrationslager der Jahre 1944/45. Sogar der Einmarsch französischer Truppen nimmt mehr Raum ein als die deutschen Verbrechen. Erst die Kreischronik von 1989 widmet den Konzentrationslagern einen eigenen Aufsatz. Und erst im Jahre 2008 wurde auf dem KZ-Friedhof Schömberg eine Informationstafel angebracht, die Aufschluss über dessen Anlegung gibt.
Dass dieser Teil der Geschichte unserer Region nicht in Vergessenheit gerät, ist insbesondere der 1987 gegründeten Initiative Gedenkstätte Eckerwald e.V. zu verdanken. Mit viel freiwilligem Engagement hat sie sich der Erinnerung, Spurensicherung und Dokumentation verschrieben.
Der Titel dieses Beitrags „Sie behandelten uns wie Tiere“ ist ein Zitat von Irving Wasserman. Er wurde am 12. Dezember 1924 im polnischen Plonsk geboren. 1942 wurde er verschleppt. Zunächst nach Ausschwitz-Birkenau, Struthof, Hailfingen-Tailfingen und 1944 nach Schömberg. Auf einem Todesmarsch in den letzten Kriegstagen wurden er und seine Mitgefangenen durch französische Truppen befreit. ZAK_Sa_UW_4_02841_Wasserman_Irving
Das Kreisarchiv des Zollernalbkreises verwahrt umfangreiche Unterlagen über das „Unternehmen Wüste“ sowie Zeitzeugeninterviews. Diese stehen der Nutzung offen und können von jedermann eingesehen werden.
Das oben abgebildete Spielzeug ist eine Schenkung von Immo Opfermann an das Kreisarchiv.
Immo Opfermann unterrichtete von 1969 bis 2006 als Gymnasiallehrer in Balingen u.a. Deutsch und Geschichte. Ab 1989 initiierte er mit Schülern eine Geschichts-AG zur Erforschung der NS-Geschichte im Zollernalbkreis die in zahlreichen Ausstellungen mündete. Der Autor war von 1988 bis 2008 Mitglied der Initiative Gedenkstätte Eckerwald; seit 2009 engagiert er sich im Wüste-Arbeitskreis Balingen.
Literatur:
Ausstellungskatalog: Museum KZ Bisingen. Die Dauerausstellung, hrsg. v. Verein Gedenkstätten KZ Bisingen e.V., Stuttgart 2023.
Brenneisen, Marco: Schlussstriche und lokale Erinnerungskulturen. Die "zweite Geschichte" der südwestdeutschen Außenlager des KZ Natzweiler seit 1945, Stuttgart 2020.
Elbs, Eberhard: Ölschiefer und Konzentrationslager: Das „Unternehmen Wüste“, in: Der Zollernalbkreis, hrsg. vom Landratsamt Zollernalbkreis, Stuttgart 1989 (2. Auflage), S. 157-165.
Wüste 10. Das südwürttembergische Schieferölprojekt und seine sieben Konzentrationslager, Broschüre hrsg. im Auftrag der Initiative Gedenkstätte Eckerwald, Deißlingen-Lauffen 1995.
Zekorn, Andreas / Borowski, Tadeusz: Todesfabrik KZ Dautmergen. Ein Konzentrationslager des Unternehmens „Wüste“, Stuttgart 2019.